Hoher Fleischkonsum senkt die Lebenserwartung: Das
gilt statistisch bereits bei zwei Wurstsemmeln pro Tag. Wie kann es sein, dass
das Festessen unserer Vorfahren heute krank macht? Über den Prozess der
Zivilisation und die evolutionären Wurzeln der Ernährung.
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 19. Jänner 2017).
Von
Sophie Alena
Gräser
und Pollen als Speisereste im Zahnstein eines Urmenschen – dieser Fund im
spanischen Atapuerca sorgte kürzlich für Aufsehen, denn er gleicht einer
Zeitkapsel: Erlaubt er doch Rückschlüsse auf den urmenschlichen Speiseplan 1,2
Millionen Jahre vor unserer Zeit. Die Forscher folgern daher, dass sich der
älteste bislang bekannte menschliche Vorfahre in Europa auf Basis von Pflanzen
ernährte. Der Genuss von Gegrilltem war ihm jedenfalls nicht bekannt.
Vielleicht aber benutzte er schon einen Zahnstocher, denn bei den Zahnresten
wurden auch kleinste Holzsplitter entdeckt. Der urgeschichtliche Speiseplan war
freilich regional sehr unterschiedlich.
Die
Ernährung unserer Vorfahren in der Altsteinzeit (Paläolithikum) als Vorbild zu
nehmen, ist einer der Trends im Dschungel aktueller Ernährungsphilosophien. Zum
Frühstück ein Brei aus Karfiol, mittags einen bunten Gemüseteller,
zwischendurch ein paar Nüsse und zum Abendessen Zucchini-Nudeln mit
Bolognese-Sauce: So könnte die „Paleo-Ernährung“ zum Beispiel aussehen.
Generell heißt das: Keine Milch- und Getreideprodukte, kein Zucker und keine
industriell verarbeiteten Lebensmittel. Stattdessen stehen Fisch, Fleisch,
Eier und Gemüse auf dem Speiseplan.
„Die
Ernährung unserer Vorfahren im Paläolithikum war stark auf Fleisch
ausgerichtet, ab 28.000 vor Christus kommt dann vermehrt auch Fisch vor“,
erzählt die Archäologin Sandra Umgeher-Mayer, die sich im Rahmen der Ur- und
Frühgeschichte auf das Thema Ernährung spezialisiert hat. „Natürlich wurden
auch Pflanzen, Beeren, Pilze, Eier gegessen, vielleicht sogar Insekten.“ Das
Paläolithikum wird mit 2,5 Millionen bis 8000 Jahre vor Christus datiert. Funde
aus diesem Zeitraum zeigen, dass unsere Vorfahren Jäger und Sammler waren, die
bereits Werkzeuge aus Holz und Stein hergestellt haben.
Ab
circa 8000 vor Christus werden die Menschen sesshaft, domestizieren erstmals
Tiere und fangen an, Getreide zu kultivieren: Das ist der Beginn der
Jungsteinzeit (Neolithikum); laut Umgeher-Mayer ein wichtiger Wendepunkt in der
Geschichte der Nahrungsaufnahme: „Die Ernährung der Menschen hat sich von der
Alt- zur Jungsteinzeit dramatisch verändert. Vormals lebten die Menschen
flexibel; sie konnten nur das zu sich nehmen, was gerade in ihrer Umgebung
vorhanden war“, so die Prähistorikerin. „Ab dem Neolithikum war das
Grundnahrungsmittel Getreide, es gab Eintöpfe und Brot. Die Jagd ist damit mehr
in den Hintergrund gerückt.“
In
der Jungsteinzeit sind mit der Kultivierung von Getreide auch Zahnkrankheiten
wie etwa Karies aufgekommen. Diese seien auf die veränderte Nahrung
zurückzuführen, da die Stärke im Getreide die Zähne und das Zahnfleisch
angreift, so Umgeher-Mayer. Die Evolution macht es aber möglich, dass der
menschliche Körper sich an Veränderungen des Lebensstils anpasst. Dies kann
Hunderttausende Jahre dauern. Mitunter geht es aber auch schneller, wie die
Humanbiologin Sylvia Kirchengast erläutert: „Ein Beispiel ist die
Laktoseintoleranz, weil sie weltweit unterschiedlich verbreitet und vermutlich
die ursprüngliche Verfassung unserer Verdauung ist. Unsere Vorfahren haben bis
zur Jungsteinzeit nur Milch beim Stillen zu sich genommen. Mit der
Domestizierung der Tiere war es dann vorteilhaft, wenn man Milch auch später im
Leben konsumieren kann. Heute ist es so, dass viele Menschen Milchprodukte gut
vertragen – daran hat sich unser Körper innerhalb von ein paar Tausend Jahren
angepasst.“ Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Mensch schon immer
Fleisch gegessen und auch gut vertragen hat. „Der relativ kurze menschliche
Darm weist auf einen Allesfresser hin. Wenn die Menschen reine Pflanzenfresser
wären, müsste der Darm deutlich länger sein“, so Kirchengast. Orientiere man
sich – wie die „Paleo-Ernährung“ vorschlägt – an der Altsteinzeit, müsste
Fleisch eigentlich zum Grundnahrungsmittel werden.
Laut
einer aktuellen Studie der Medizin-Universität Karolinska in Stockholm ist das
aber nicht ratsam. Diese besagt nämlich, dass ein hoher Fleischkonsum die
Lebenserwartung senkt, unabhängig davon, wie viel gesundheitsfördernde
Lebensmittel wie Obst und Gemüse man zu sich nimmt. Für die Studie wurden über
einen Zeitraum von 16 Jahren bei mehr als 74.000 Personen unterschiedlicher
Altersstufen die Auswirkungen des Fleischkonsums auf die Lebenserwartung
untersucht. Am Die Sterberate war in der Gruppe mit dem höchsten Fleischkonsum
um 21 Prozent höher als in der Gruppe mit dem niedrigsten Konsum. Besonders die
Herzgesundheit wird durch viel Fleisch gefährdet. Das Österreichische
Akademische Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) warnt: Generell konsumieren
die Österreicher mit 65 Kilogramm pro Kopf und Jahr im Schnitt zu viel Fleisch.
„Heute hat es sich eingebürgert, dass die meisten Menschen fast täglich Fleisch
essen. Ein hoher Fleischkonsum ist mit einer Reihe gesundheitlicher Probleme
assoziiert und führt früher zu Erkrankungen, die auch Todesfolgen haben“, sagt
Kurt Widhalm, Professor für Ernährungsmedizin und Präsident des ÖAIE. „Pro
Woche sollten maximal zwei Portionen frisches rotes Fleisch wie Rind, Schwein
oder Lamm gegessen werden. Verarbeitete Fleischprodukte wie Wurst und Schinken
sollten – wenn überhaupt – nur ein Mal wöchentlich konsumiert werden, und auch
das nur in geringem Ausmaß von maximal 50 Gramm.”
Wie
kann es sein, dass das Grundnahrungsmittel unserer Vorfahren uns nun mitunter
krank macht? Sylvia Kirchengast kennt mehrere Erklärungen: „Das Fleisch, das
wir heute zu uns nehmen, hat mit dem Fleisch unserer Vorfahren nur noch sehr
wenig zu tun“, sagt die Humanbiologin. „Das heutige Fleisch wird mehr oder
weniger industriell erzeugt und stammt von Tieren, die allzu domestiziert sind.
Das Fleisch im Paläolithikum hingegen kam von meist sehr aktiven Tieren, die
äußerst fettarm waren. Wir sind nicht daran angepasst, dass wir so viel
fettreiche Nahrung zu uns nehmen und insbesondere sehr fettes Fleisch
konsumieren.“ Probleme sieht die Biologin auch darin, dass sich die Menschen
heute zu wenig bewegen. Dadurch seien Zivilisationskrankheiten wie Adipositas
(Fettleibigkeit) oder Diabetes mellitus Typ 2 entstanden.
Umgekehrt
könne sich der Mensch bedenkenlos fleischlos ernähren, wie ÖAIEPräsident
Widhalm erklärt: „Die meisten Vegetarier leben sehr gesund, obwohl das Risiko
für Unterernährung und Mikronährstoff- Defizite größer ist als in der Gruppe
der Fleischesser. Umgekehrt ist das Risiko für Überernährung in der
Fleisch-Gruppe wesentlich höher als bei den Vegetariern.“ Nur als Veganer müsse
man sich an Ernährungsanalysen halten, um Unterversorgung im
Mikronährstoff-Bereich zu vermeiden, so der Rat des ÖAIE. Veganer laufen sonst
schnell in Gefahr, von einem Mangel an Eisen und Vitamin B12 betroffen zu sein.
Die
Idee der „Paleo-Diät“, also eine völlige Umstellung auf die Ernährung der
Altsteinzeit, hält die Biologin Kirchengast für weite Teile der Bevölkerung
ohnehin nicht machbar: „Wenn jetzt die ganze Wiener Umgebung in den Wienerwald
fährt, um dort Beeren zu sammeln und Eichhörnchen zu jagen, übersteigt das wohl
dessen Kapazität. Es ist sicher sinnvoll, sich unserer evolutionärer Wurzeln zu
besinnen. Aber völlig auf Getreide und Milchprodukte zu verzichten, ist
wirklich nicht notwendig.“
URL: https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Essays/Vermischtes/Allesfresser_Mensch
DIE FURCHE,
Donnerstag, 19. Jänner 2017
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